Kein Gesicht bleibt

Einen ganzen Tag lang war ich in der Stadt. Tausenden von Menschen bin ich begegnet und ich habe viele Dinge gesehen. Abends sitze ich dann auf dem Stuhl am Küchentisch und an nichts kann ich mich wirklich erinnern. Kein Gesicht bleibt in Erinnerung.

Aber manchmal dann doch, völlig unbegründet: Es ist Montag 7.55. Ich erinnere mich an diese Zeit, an diesen Moment, an dieses Bild. Ein Mann steht am Bahnhof. Er ist im Begriff seine Koffer aufzunehmen. Der Mann trägt eine Mütze, hat drei Koffer und ist ganz in Grün gekleidet.

Noch am Abend des selben Tages erinnere ich mich an dieses Bild. Selbst eine Woche später taucht es immer noch auf, steigt hoch aus dem Unterbewusstsein. Jeden Tag erlebe ich, sehe ich Bilder, Gegenstände, Menschen, Tiere, Landschaften, Gebäude und Situationen. Fast alle verschwinden wieder. Von all den vielen Tausend Bildern des Tages bleibt so gut wie nichts, nur hier und da erhält sich ein Bild.

Wenige Augenblicke des Lebens werden fokussiert und zum Bewusstsein transportiert. Dabei kann man noch nicht einmal behaupten, diese Bilder hätten besondere Bedeutung. In der Regel nimmt man auch keinen Einfluss auf das was geht und das was bleibt. Aber wie wäre es, nähme man doch Einfluss? Würde man jedes Bild festhalten, gäbe es unendlich viele Bilder, diese zu betrachten würde die restliche Lebenszeit bedürfen. Also bedarf es einer Beschränkung:

Alle fünf Minuten soll eine Fokussierung geschehen und das Format des jeweiligen Bildes soll die Maße 60 mal 26 cm haben. An einem Montag um 7.55 Uhr ist der Beginn. Die Sequenz wird in beide Richtungen wachsen. Zunehmend wird die Bilderreihe gegen Dienstag wachsen, abnehmend gegen Sonntag. Wenn die Bilder sich in der Wochenmitte treffen, ist die Arbeit vollendet. Zuerst werden zwei Atelierwände gefüllt und ausgestellt. Das ergibt 132 Bilder. Verkaufte Bilder werden durch hinzuwachsende Bilder ergänzt. Die Bilder werden dokumentiert und katalogisiert. Wie wird ein solcher Montag aussehen, wie die Woche?